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Von: Marco Schicker
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Cerveza Victoria aus Málaga wurde einst auch Dank zweier Deutscher berühmt: einer in der Brauerei, der andere auf dem Etikett. Das Bier verschwand, wie viele lokale Marken, ist aber heute wieder in aller Munde. Eine sommerliche Biergeschichte mit Überblick zum Biermarkt in Spanien.
Málaga - Seit 2021 Jahr ist die Brauerei "Cerveza Victoria" offizieller Sponsor der Selección, der spanischen Fußballnationalmannschaft. Für manche Fans ist das kein gutes Omen, denn Victoria heißt zwar Sieg, doch das Bier kommt aus Málaga, das fußballerisch in den letzten Jahren nicht gerade glänzte, um es ganz, ganz höflich zu sagen. Aber vielleicht hilft die Geschichte dieses Bieres weiter, die Geschichte eines Stehaufmännchens mit 4,8 Prozent Alkohol im Blut.
Cerveza Victoria ist wieder Teil der Stadt, nachdem es im Strudel der Globalisierung, die über Jahrzehnte viele historische Biermarken in Konzernabflüsse goss, ebenfalls fast weggeschüttet worden wäre. 1928 gründete der gut vernetzte Geschäftsmann Luis Franquelo Carrasco im Stadteil El Perchel, heute neben dem Hauptbahnhof von Málaga im Zentrum gelegen, damals ein Fischerdorf in Randlage, die Brauerei und eröffnete sie am 8. September, dem Tag der Virgen de la Victoria. Es war also – wir sind schließlich in Spanien und in Andalusien – eine heilige Jungfrau, die dem Bier den Namen gab, und kein Siegesrausch.
Braumeister Dietz in Málaga: 15.000 Liter "Victoria"-Bier am Tag
An der Spitze der Belegschaft von 85 Mann stand 1928 der deutsche Braumeister Henrich Dietz, der, obwohl deutsches Bier damals schon lange weltweit einen guten Ruf hatte, in Spanien eher eine Ausnahme bildete. Denn meist waren es belgische, elsässische und niederländische Braumeister, die nach Spanien engagiert wurden oder sich in ihrem Handwerk selbständig machten. Sie folgten einer hunderte Jahre alten Linie, denn schon Kaiser Karl V., als Carlos I. ab 1516 der erste Habsburger auf dem spanischen Königsthron, brachte sich als berüchtigter jugendlicher Biertrinker seine Braumeister aus Flandern mit, ja, er soll sie dann sogar in seinem Alterssitz, dem Kloster San Yuste, eingesperrt haben, damit sie nichts weiter taten als ihm einzuschenken und die Rezepte nicht zu verraten.
15.000 Liter Bier am Tag stieß die Victoria-Fabrik damals aus, aus heutiger Sicht nicht mehr als eine caña, doch damals genug, um nicht nur Málaga, sondern halb Andalusien und sogar das spanische Protektorat Marokko beliefern zu können, wo die Fremdenlegionäre bevorzugt mit Victoria auf ihre vielen Niederlagen anstießen, das damals offziell zur Mannschaftsverpflegung gehörte.
Der Spanische Bürgerkrieg ab 1936 dauerte in Málaga zwar nur sieben Monate, zwang die Fabrik aber erst zur Schließung und danach zur Rationierung, denn Gerstenmalz und auch Derivate aus Reis oder Weizen wurden äußerst rar und von den Franco-Behörden daher zugeteilt. Braumeister Dietz setzte sich liber in die alte Heimat ab und Victoria produzierte nur noch mit halber Kraft, konnte aber Antonio Ranea abwerben, Braumeister beim Konkurrenten La Mediterránea.
Seit 1952 führte die Marke ihren Slogan „Malagueña y exquisita“ auf dem Etikett, Lokalpatriotismus im doppelten Sinne. Im Unterschied zu anderen Brauereien legte das Management weiterhin Wert auf die traditionelle, sachte Machart, die ausreichend lange Lagerung des Lagers. Über die Jahre schmolz die Isolation des Franco-Regimes dahin, wurde der Tourismus zu einem beachtlichen, strategischen Geschäftszweig.
Der Sieg des kleinen Mannes: Wie der schwitzende Deutsche zum Vicotria-Logo wurde
1958 schien sich die Werbeabteilung der Brauerei der neuen Zeiten und ihres alten Braumeister Dietz zu besinnen und kreierte ein Logo, das jeder Malagueño bald als den „alemán de la Victoria“ erkannte: einen schwitzenden Deutschen, der sich die Glatze wischt, ein Abbild des Wirtschaftswunder-Papas, der sich den Urlaub in Spanien leisten kann, dabei weder seine steife Haltung noch seinen viel zu dicken Anzug ablegt, aber tapfer lächelt. Vor ihm: ein Bier wie ein kleines Rettungsboot gegen die Hitze, Victoria: der Sieg des kleinen Mannes. Hinter ihm: blaues Mittelmeer, ein Segelboot, ein Palmenzweig. Das Logo wurde so populär, dass es in den 60er Jahren sogar für die Tourismuswerbung der ganzen Stadt, über das Bier hinaus, Verwendung fand.
1968 musste Victoria seine Bierzelte in El Perchel abbrechen, denn die Alameda, Málagas Rue de Galoppe, wurde erweitert, eine Folge des Touristen-Booms, der Málaga seitdem und bis heute permanent und teils brutal transformiert. Die Neuereröffnung im Industriegebiet Intelhorce stand unter keinem guten Stern: Franco-Seilschaften limitierten die Produktion ab 1970 auf die Hälfte der Kapazität, damit ein Günstlingsunternehmen, Cervezas Costa del Sol, privilegiert werden konnte, mit dem sich ein Franco-Funktionär eine goldene Nase verdiente.
Von Cruzcampo zu Damm: Victoria im Getriebe der Konzerne
Die Geschäfte für Victoria liefen so schlecht, dass die Gründungsfirma Franquelo S.A. 1972 von Cervezas Santander aus Kantabrien übernommen wurde. „Victoria“ geriet nun unter die Räder der Konzentration durch kapitalstarke Konzerne, die in ganz Europa viele lokale Marken absorbierten. 1990 übernahm die Grupo Cruzcampo aus Sevilla die Marke Victoria. Ausgerechnet Cruzcampo, das ein Bier produziert, das in Sevilla zwar verehrt wird, im Rest des Landes aber nur Spott und Häme erntet und Vorlage für etliche derbe Witzchen im Internet ist. Es schmeckt, na sagen wir, wie ein zunächst abgestandenes Berliner Schultheiß, - schlimm genug - das man aber mit zu viel Kohlensäure wiederbeleben wollte. Aber sagen Sie das bloß keinem Sevillaner!
1996 schlossen die neuen Eigentümer die Fabrik in Málaga, Victoria war tot. Cruzcampo selbst fiel allerdings 1999 an Heineken, die holländischen Global Player konzentrierten in Spanien mit dem Kauf aber so viel Marktmacht, dass das Wettbewerbsamt sie zwang, einige Marken abzugeben. So gelangte Victoria 2001 an die Grupo Damm, eines der ältesten Brauhäuser Spaniens, gegründet einst von zwei Cousins aus dem Elsass und heute in den Händen einer der reichsten spanischen Familien.
Von einem Familienbetrieb zu sprechen, wäre bei Damm dennoch verfehlt, Oligarchie trifft es eher: Demetrio Carceller Arce, der Firmenpatriarch, kontrolliert unter anderem das Petroleum-Unternehmen Disa und mit Ebro Foods den umsatzstärksten spanischen Nahrungsmittelkonzern, seine Baufirma Sacyr fakturiert allein vier Milliarden Euro im Jahr. Der Big Boss sollte 2010 zu 14 Jahren Haft wegen Veruntreuung von 500 Millionen Euro Steuern verurteilt werden, konnte das Gericht mit einer Nachzahlung aber auf 13 Monate runterhandeln und so auch seine Jobs behalten. Einige seiner Firmen tauchen in den Panama-Papers der Steueroasen und anderen Leaks immer mal wieder auf.
Wieder auf dem Damm: Victoria kehrt triumphal nach Málaga zurück
Doch für Victoria wurde die Grupo Damm zur Rettung, bis 2007 tauchte die Marke erst wieder zaghaft in Supermärkten auf, doch die Malagueños kauften so fleißig, dass Damm es wieder vom Fass und im „tercio“ in die Kneipen brachte. 2017 ging Damm den nächsten Schritt und investierte Millionen in eine neue Brauerei von 3.700 Quadratmetern im Industrieviertel Guadalhorce von Málaga, wo Führungen samt Verkostungen angeboten werden, dazu gibt es Live-Konzerte, Comedy-Festivals und Platz für Hochzeiten und andere Feiern. Victoria ist endgültig zurück in der Heimatstadt Málaga und seit die Brauerei 2021 auch das Patronat für die spanische Selección im Fußball übernahm, ist das Bier auch im Rest Spaniens in vieler Munde.
Victoria gibt es heute auch als „Pasos Largos“, ein Radler, für das man sich den „último bandolero“, den letzten Wegelagerer der Sierra de Ronda als Ikone aufs Etikett klebte. Das Dunkelbier Marengo würdigt einen Fischer aus El Perchel, wo Victoria geboren wurde, und das Weizenbier mit dem arabischen Stadtnamen Malacatí ziert eine flotte Blondine, die im Klettergeschirr an einem Felsen lächelt, warum auch immer.
Doch auf dem Flaggschiff „Victoria“, dem Pils, das nach dem gleichen Grundrezept von Braumeister Dietz von 1928 gebraut wird, schwitzt nach wie vor der deutsche Tourist als Galionsfigur. Er blieb dem Bier wie Málaga treu, vervielfachte sich über die Jahre zum Massentouristen, kleidet sich heute nicht mehr so elegant, schwitzt aber noch genau wie früher und findet in einer kühlen caña – oder pinta – seine Rettung. Um Málagas und Victorias Glück perfekt zu machen, müsste nur noch der Málaga CF irgendwann auch mal wieder „Victoria“ singen, anstatt es nur zu trinken. Und ob die spanische Nationalmannschaft die Deutschen bei der WM ebenso zum Schwitzen bringen wird, wie jenen auf dem Logo ihres Sponsors, das wollen wir erstmal sehen.
Cruzcampo, San Miguel, Estrella und Co.: Die Big Player des Biermarktes in Spanien
- Grupo Mahou San Miguel: Der Marktführer produziert jeden dritten Liter Bier in Spanien, gegründet durch Casimiro Mahou 1890 in Madrid, akkumulierte das Unternehmen immer mehr Marken, 2010 kam Alhambra Granada für 200 Millionen dazu, 2019 etliche Lizenzen vom belgischen Weltkonzern AB InBEV. 12,7 Millionen Hektoliter werden gebraut, darunter (Auswahl): Mahou, Cinco Estrellas, San Miguel, Alhambra, in Lizenz: Corona, Budweiser, Stella Artois, Leffe, Franziskaner, Warsteiner, Becks, Löwenbräu.
- Heineken Cruzcampo: Die Holländer von Heineken lassen in Spanien 10,7 Millionen Hektoliter im Jahr brauen. 2000 übernahmen sie die Cruzcampo-Gruppe und El Águila, das ähnlichen Klutstatus in Madrid besitzt, wie Victoria in Málga. Hauptmarken: Heineken, Cruzcampo mit etlichen Untersorten, Amstel, Águila, Malagueta, Desperados, Paulaner, Guinness, La Cibeles, Fosters, Murphys.
- Grupo Damm: Mit 10,6 Millionen Hektoliter liegt die Damm-Gruppe fast gleichauf mit Heineken in Spanien. Die Gründung fällt ins Jahr 1876, als die Cousins Damm aus dem Elsass sich in Barcelona ansiedelten. Seit 1910 ist Damm Aktiengesellschaft, kontrolliert von der Familie Carceller, wie im obenstehenden Text erläutert. Marken: Estrella Damm, Voll-Damm, Malquerida, Estrella de Levante (Murcia), Victoria (Málaga), Oro (Bilbao), Turia (Valencia), Calatrava, in Lizenz: Skol, Radeberger, Schöfferhofer.
- Hijos de Rivera: Das galicische Familienunternehmen ist vor allem für das Estrella de Galicia berühmt, das mit seiner feinen Herbheit Bieren aus nördlicheren deutschen Landen besonders nahe kommt. Gegründet 1906 in La Coruña als La Estrella de Galicia in Anlehnung an das „Estrella de Oro“, das Gründer José María Rivera Corral bei einem Abenteuer zuvor in Mexiko entwickelt hatte. 3,5 Millionen Hektoliter sind für eine regionale Marke eine Hausnummer. Mit Weinen, Likören und dem Apfelwein Sidra hat man sich diversifiziert. Biermarken: Estrella de Galicia samt sämtlicher Untersorten, Fábrica de Cervezas, 1906 Reserva Especial, in Lizenz u.a.: O’Hara’s Irish Stout, Budejoviky Budvar, Erdinger.
- Cervecera de Canarias: Auf 1,1 Millionen Hektoliter bringt es eine weitere Regionalbrauerei, die Compañía Cervecera auf den Kanaren, die sich neben der Hausmarke wichtige Lizenzrechte sicherte, die auf der Iberischen Halbinsel die Big Player unter sich aufteilten. Gegründet 1924, war die Brauerei anfänglich nur Anbau einer Kakaofabrik, erst 1939 ging es mit einer eigenen Fabrik auf Teneriffa richtig los, seit 1946 gibt es die Marke Dorada.
- Grupo Ágora: Die Grupo Ágora kommt mit 0,98 nicht ganz auf eine Million Hektoliter im Jahr. Die Aragoneser, die sich als „älteste unabhängige Brauereigruppe Spaniens“ präsentieren, gibt es seit 1900, als in Zaragoza das erste Ambar in ein Glas und eine glückliche Kehle floss. Mit dem Kauf und der Wiederbelebung des Kultbiers Moritz, das auf 1856 und den elsässischen Braumeister Luis Moritz, zurückgeht, hat Ágora ein Standbein in Barcelona, nebenbei handelt man mit Kaffee und Wasser. 185 Millionen Euro Umsatz meldete die Firma zuletzt. Marken: Ambar, Caesar Augusta, Moritz, Marlen (Dortmunder).
Zum Thema: Die Spanier und ihr Bier - Eine süffige Kulturgeschichte.